Großer Auftritt für Cross-Over
Schwäbische Zeitung, 12. März 2018
Großer Auftritt für Cross-Over
So komplett bis auf den letzten Platz besetzt war die Bühne des Konzerthauses tatsächlich noch nie. Aber „Latin-Jazz Sinfónica!“, ein Sinfonieorchester mit Streichern, Blech- und Holzbläsern plus einer Jazzcombo mit vierfacher Perkussion, Keyboard, Kontrabass, Gitarren und zwei Marimbaphonen braucht eben seinen Raum. Zumal dann, wenn aus akustischen Gründen die Klangbereiche durch transparente Stellwände voneinander getrennt sind. Selbst der Podest des Dirigenten Andreas Schulz war mit Plexiglas abgeschrankt – ein Eindruck zwischen Spiegelkabinett und Aquarium, vor allem wenn die Strahler zum Blau wechselten.
Um solch ein Mammutprojekt zu stemmen, ist ziemlich viel Soundcheck nötig und immens viel Vorbereitung. Ravensburg war im übrigen die vorletzte Station auf der Tournee durch acht deutsche Städte, sieben davon in Baden-Württemberg. Das Projekt ist eine Teamarbeit des russisch-deutschen Pianisten und Dirigenten Andreas Schulz mit der Latin-Perkussionistin Julia Diederich, die nicht nur im Ensemble „Neue Philharmonie Berlin“ mitspielt und selbst Stücke schreibt, sondern als die „Seele des Projekts“ vor allem einen großen Teil der Organisation der Tournee übernahm. Von ihr kam die Idee oder besser der „musikalische Wunsch“ nach einer Verbindung von Latin-Jazz mit einem Sinfonieorchester, mit der sie Andreas Schulz begeisterte. Die launige Moderation mit vielen Querverweisen zu den Stücken übernahm Rainer Lenz, der erst ganz zum Schluss seine super Jazzstimme in einer rasanten Zugabe vorführte.
Die Stücke – Jazzstandards von Stan Getz oder dem Kubaner Paquito D'Rivera, von Arturo Sandoval, dem Filmkomponisten Dave Grusin oder dem Gitarristen Pat Metheny – sind zum größten Teil Arrangements des „Special guest“ Christoph König, einem virtuosen Jazzgeiger. Echte Cross-Over-Stücke, die zwischen kubanischen, spanisch-lateinamerikanischen Rhythmen, orientalischem Touch, Big Band, Streichersound und softem Jazz oszillieren - so wie „Friday Morning“, „Cuban Sugar“, „Sonnet for Caesar“ oder „Minuano Six Eight“. Aber auch andere wie Pat Methenys „Heat of the Day“ oder „Little Waltz in 5“ sind atmosphärisch starke Stücke.
Urstück ist der Bolero
„Vioxx“, „Lupo“ und „Skyflight to the Light“, Eigenkompositionen von Julia Diederich, haben einen träumerisch-versponnenen Charakter, in dem die Perkussion nie auftrumpft.
Das Urstück des Projektensembles ist der „Bolero – Canciones de amor y desamor“, der in seiner Sentimentalität stark an die Filmmusik aus „Der letzte Tango“ erinnert. Im letzten Stück „To Brenda“ kam auch endlich der brasilianische Musikbogen Berimbao – mit einer glänzend lackierten Kalebasse als Klangkörper – zum Einsatz. Wie wenig es braucht, um einen charakterstarken Ton zu erzeugen, konnte man an diesem faszinierend einfachen Instrument erleben. Großer herzlicher Beifall und stehende Ovationen – noch vor der Zugabe, für zwei Stunden großen Sound: Was will man mehr?